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Frühe Kindheit in der Geburtsstadt Erfurt

Als im Jahre 1932 der Astronom Prof. Dr. Hartmann, Direktor der argentinischen Nationaluniversität La Plata, einen kleinen Planeten entdeckte, taufte er diesen in Erinnerung an seine Heimatstadt auf den Namen „Erfordia“.
Erfurt, die Hauptstadt des neuen Bundeslandes Thüringen, kann auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. Neben 21 Reichstagen erlebte Erfurt auch 5 Fürstenversammlungen unter Friedrich Barbarossa. Im Jahre 1250 rangen die Erfurter Bürger dem Mainzer Erzbischof die Selbstverwaltung der Stadt ab, und im „Tollen Jahr“ 1509 kämpften die Handwerksgesellen und Tagelöhner der Stadt Erfurt um ihre Rechte.

Mit dem „Erfurter Programm“ 1891 gaben die Sozialdemokraten um Wilhelm Liebknecht und August Bebel damals den Arbeitern Deutschlands das Rüstzeug für deren weiteren Kampf zur Erfüllung ihrer Rechte.
An jene denkwürdige Tagungsstätte grenzt die Krämerbrücke. Diese ist neben dem Ponte Vecchio in Florenz die berühmteste der noch vollständig erhaltenen mittelalterlichen Straßenbrücken Europas. Die Krämerbrücke steht in Verbindung zum Fischmarkt mit dem Rathaus. Fischmarkt und Domplatz sind durch die Marktstraße verbunden. Hier erinnern interessante denkmalgeschützte Gebäude an den Reichtum Erfurter Städtebürger. In einem dieser ehemaligen Patrizierhäuser wurde der Autor geboren.
Wir schreiben das Jahr 1941. In Europa herrscht Krieg, der sich sehr bald zu einem Weltbrand ausweiten sollte. In Deutschland wird die Luftverteidigung verbessert und am Boden der Luftschutz weiter ausgebaut, da jetzt die englischen Kampfflieger immer tiefer in unser Heimatland eindringen.
Am 22. Januar 1941 gedenkt man trotz der Kriegswirren in Kamenz, Meißen, Leipzig, Wittenberg, Berlin, Breslau, in Wolfenbüttel und Braunschweig feierlich der Wiederkehr des 212. Geburtstages Gotthold Ephraim Lessings, dem „Schöpfer und Vater der deutschen Literatur“ (Kühne), dem „literarischen Arminius“ (Heine).
In der „Blumenstadt“ Erfurt wird an diesem Tag der Autor als zweites Kind des Ehepaars Walter und Irmgard Scharff (geb. Hopfe) in der Marktstraße 34 geboren.
Dieses einstige Patrizierhaus verfügte über einen geräumigen Hinterhof, der in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts leider stark zugebaut wurde.
Auf jenem Hof, welcher mit riesigen Kastanien bewachsen war, spielten die Kinder der Mitbewohner und die drei Jahre ältere Schwester Bärbel mit ihrem Bruder.
Wie aber sah damals unser Spielen aus?

1941/42:Schwester Bärbel (vordere Reihe 3. von links) mit ihrem Spielkameraden auf dem Hof Marktstraße 34

Hochsommer 1943: vordere Reihe
v.l.n.r: Opa Wilhelm, Autor, Bärbel,
Bernd Kirchner hintere Reihe
v.l.n.r.: Ehepaar Kirchner, Oma Martha,
Mutter Irmgard

In den letzten Kriegsjahren wurde auch Erfurt verstärkt von anglo-amerikanischen Bombern heimgesucht. Noch heute erinnere ich mich der heulenden Sirenen, die den Fliegeralarm verkündeten, uns aus den schönsten Spielen rissen, in unseren Träumen schreckten. Damals mussten wir unseren Spielplatz allzu oft mit dem Luftschutzkeller tauschen.
Die wachsende Unsicherheit jener Zeit hatte die Eltern unserer Mutter dazu bewogen, sich am Rande der Stadt Erfurt, in der Gemarkung Schwedenschanze / Hahnegarten, ein Gartenhäuschen zu errichten. Hier auf diesem schönen Gartengrundstück wohnten die Großeltern bis zu ihrer Übersiedlung 1946/47 von Erfurt nach Georgenthal-Schlöffelsmühle. Hier überstanden sie die letzten schrecklichen Bombardements auf Erfurt. Die Stadtwohnung und die Klempnerwerkstatt des Großvaters Wilhelm Hopfe waren am Ende des 2. Weltkrieges einer Luftmine zum Opfer gefallen.

März 1945: Originalzeilen aus Catterfeld an die Erfurter Großeltern

Auf jenem Gartengrundstück der Großeltern verlebten Schwester Bärbel und ich die wohl schönsten Stunden der frühen Kindheit, die oft die Schrecken des Krieges vergessen machten.

1943: Oma Martha und unser treuer Lausbub

Unvergessen bleibt mir der verregnete 28. 09. 1943. Oma Martha bügelte die noch feuchte Wäsche. Während ihres kurzen Verlassens der Stube, ich war mit dem treuen Schäferhund Lausbub allein, zog ich den Stecker aus der über der Fußleiste befindlichen Steckdose. Dabei geriet ich mit den Fingerchen in die Dose. Im selben Moment schnappte mich Lausbub am Rollkragen meines Pullovers und rettete mich so vor einem sicheren Stromschlag.


Der Weg von unserem Wohnhaus Marktstraße Nr. 34 zum Garten der Großeltern führte stets über den Domplatz mit seinem großartigen Dom und der Severikirche.

 

 

1943: v.r.n.l. – Schwester Bärbel, die Mutter und der Autor auf dem Weg zum Gartenhäuschen, im Hintergrund der Dom mit der Severikirch

 

 

Bei diesen Spaziergängen regten die Riesenmauern der Festung Petersberg meine Fantasie besonders an.


Weihnachten 1944: in der Erfurter Wohnung, links das Festungsmodell

Herbst 1943: Der Autor und Schwester Bärbel pflegen ihre Gartenbeete

Unvergessen bleibt mir die letzte Kriegsweihnacht des Jahres 1944. Der Großvater Wilhelm hatte dem Enkel sein selbst gefertigtes Sperrholzmodell von der Festumg Petersberg unter den Christbaum gestellt.

Die Beschäftigung mit diesem kleinen Modell, verbunden mit Gesprächen zwischen Großvater und Enkel, war meine erste bewusste Begegnung mit der Geschichte meiner Geburtsstadt Erfurt. Mein erstes unbewusstes „Erleben“ allerdings war meine Taufe am 16. März 1941 in der Michaeliskirche, der einstigen Universitätskirche meiner Geburtsstadt.

Erfurt, Marktsraße 34: Mein Geburtshaus heute (x)

(Foto: Jörg Scharff, 14.06.2002)

 

 

 

 

Als die Fliegerangriffe auf Erfurt immer mehr zunahmen, im Geburtshaus unseres Vaters Walter Scharff, unsere Großmutter Auguste und deren verwitwete Tochter Alma für die kleine Landwirtschaft unbedingt Hilfe benötigten, siedelten wir von Erfurt nach Catterfeld im Thüringer Wald. Damals konnte ich nicht ahnen, dass in dieser meiner neuen Heimat die Wurzeln jenes im Jahre 742 vom „Apostel der Deutschen“ begründeten Bistums „Erphesfurt“ zu suchen sind.